Erscheinungsjahr: 2018
Fläche: 9984670 km2 | Bevölkerung: 36286000 |
Religion | Prozent |
---|---|
Christen | 67.60 % |
Muslime | 3.10 % |
Buddhisten | 1.70 % |
Juden | 1.10 % |
Hindus | 1.30 % |
Sikhs | 1.40 % |
Chinesischer Volksglaube | 1.90 % |
Atheisten | 2.60 % |
Agnostiker | 18.60 % |
Andere | 0.70 % |
«Es ist eine zunehmende gesellschaftliche Intoleranz gegenüber Minderheitenreligionen zu beobachten – als Reaktion auf globalen Terrorismus oder geopolitische Konflikte, die mit bestimmten Glaubensgemeinschaften in Verbindung gebracht werden, sowie aufgrund wachsender Ressentiments gegenüber Einwanderern.»
Die Verfassung und die Gesetze Kanadas garantieren Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Gedanken-, Glaubens-, Meinungs- und Ausdrucksfreiheit,1 ziehen jedoch „angemessene gesetzliche Grenzen, wie sie in einer freien und demokratischen Gesellschaft nachweislich gerechtfertigt sind“.2 Im Hinblick auf ihre Religion geniessen Kanadier das Recht auf „gleichen Schutz und gleichen Nutzen des Gesetzes ohne Diskriminierung“.3
Eine Diskriminierung aus Gründen der Religion ist durch Bundes- und Provinzgesetze verboten. Bei Verletzungen der Religionsfreiheit haben Einzelpersonen die Möglichkeit zu klagen und Anspruch auf Rechtsbehelfe.4
Glaubensgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich behördlich zu registrieren. Für eine Steuerbefreiung ist es jedoch erforderlich, dass sie sich als gemeinnützige Organisationen bei der kanadischen Steuerbehörde (Canada Revenue Agency, CRA) registrieren lassen. Dieser Gemeinnützigkeitsstatus bietet ihnen eine Reihe bundesweit gültiger Vorteile, z. B. Steuerabzüge für gebietsansässige Geistliche und schnellere Einwanderungsverfahren.5
Die Verfassung garantiert protestantischen und katholischen Minderheiten eine öffentliche Finanzierung konfessioneller Schulen. In Quebec, Neufundland und Labrador wurde diese Garantie allerdings durch Verfassungsänderungen aufgehoben und durch ein säkulares öffentliches Bildungssystem ersetzt. In Ontario, Alberta und Saskatchewan bleibt die garantierte Bereitstellung öffentlicher Mittel für katholische Schulen bestehen. Darüber hinaus ist die Finanzierung von Bildungseinrichtungen katholischer und protestantischer Minderheiten aus öffentlicher Hand in den Nordwest-Territorien, Yukon und Nunavut durch Bundesgesetze geschützt.6 In sechs der zehn Provinzen werden zumindest einige religiöse Schulen teilweise öffentlich finanziert.7 Hausunterricht ist in ganz Kanada legal. Eltern in Saskatchewan, Alberta und British Columbia erhalten hierbei finanzielle Unterstützung.8
Im November 2016 wies ein Gericht in Ontario die Beschwerde eines Vaters wegen Verletzung seiner Religionsfreiheit ab, nachdem der Schulvorstand diesen nicht im Voraus über den Sexualkundeunterricht an der Schule informiert hatte. Der Vater war der Ansicht, aufgrund dieser Informationspolitik nicht entscheiden zu können, ob die Unterrichtsinhalte gegen seine religiösen Ansichten als Christ verstiessen. Der Richter begründete seine Entscheidung damit, dass Inklusion und Gleichheit „im öffentlichen Bildungswesen Vorrang vor einem Entgegenkommen in individuellen religiösen Angelegenheiten“ hätten.9
Ende November 2017 wurde vor dem Obersten Gerichtshof eine Klage der Trinity Western University (TWU) gegen die Anwaltskammern verhandelt. Die Kammern hatten sich geweigert, Jura-Absolventen der Hochschule zu akkreditieren, da diese laut Satzung sexuelle Handlungen nur für traditionelle Ehen gestattet. Die Akkreditierungsstellen für Anwälte von British Columbia, Ontario und Nova Scotia bezeichneten diese Vorschrift als Diskriminierung der LGBT+-Gemeinschaft. Sowohl die Anwaltskammer von British Columbia, als auch die TWU brachten ihre Argumente vor dem Obersten Gerichtshof vor.10 Die Anwälte der TWU argumentierten, dass ein Urteil gegen die Universität „letztlich alle religiösen Schulen, Wohltätigkeitsorganisationen und Organisationen betreffen könnte“.11 Das Urteil wird für Sommer 2018 erwartet.
Im März 2018 wies ein Gericht die Anfechtung des im Strafgesetzbuch festgelegten Polygamie-Verbots12 aus Gründen der Religionsfreiheit ab. Zwei Mitglieder der Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die im Juli 2017 in British Columbia der Polygamie für schuldig befunden worden waren, hatten versucht, das Verbot anzufechten.13
Im Oktober 2017 wurde in Quebec ein Gesetz verabschiedet, das die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Dienstleistungssektor untersagt, „um eine reibungslose Kommunikation zwischen den Beteiligten zu gewährleisten und die Feststellung der Identität aus Sicherheitsgründen zu ermöglichen.“14 In dem Gesetz sind auch Umstände festgelegt, unter denen „Ausnahmen aus religiösen Gründen“ gewährt werden können. Dazu gehört, dass ein ernstgemeinter Ausnahmeantrag gestellt wird“, der den [...] Massgaben religiöser Neutralität folgt“ und „angemessen ist, d. h. keine unzulässig harten Massnahmen verlangt“.15
Mehrere Gruppen haben das Gesetz nach seiner Verabschiedung angefochten. Im Dezember 2017 setzte ein Richter aus Quebec das Verhüllungsverbot schliesslich aus, bis die Provinz klare Richtlinien zur Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse aufgestellt hat.16
Im Juni 2016 beantragte ein Zusammenschluss mehrerer Gruppen, die mehr als 4.700 christliche Ärzte vertraten, die gerichtliche Überprüfung einer in Ontario geltenden Anordnung, nach der Patienten mit Sterbewunsch an Ärzte zu überweisen sind, die Sterbehilfe anbieten. Die Ärzte beanstandeten, damit zu Komplizen gemacht zu werden, und dass die Vorschrift gegen ihre verfassungsmässig geschützte Gewissens- und Religionsfreiheit verstiesse. Sterbehilfe war zuvor durch ein Bundesgesetz legalisiert worden, wenn auch mit einer Bestimmung zur Verweigerung aus Gewissensgründen. Als einzige Provinz verlangte Ontario die Überweisung an einen anderen Arzt. In den anderen Provinzen reicht der Hinweis auf eine entsprechende Kartei.17
Das zuständige Gericht urteilte am 31. Januar 2018, dass die in Ontario geltende Anforderung tatsächlich gegen „die Rechte der Ärzte auf Religionsfreiheit“ verstiesse. Dies sei aufgrund der Bedeutung, Zugang zu dieser Leistung zu ermöglichen, jedoch gerechtfertigt. Der Vorsitzende einer der Ärzteorganisationen sagte: „Diese Entscheidung [...] sollte alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Gesundheitssektor ebenso wie alle Bürger Ontarios in Aufregung versetzen: Auch ihre Religions- und Gewissensfreiheit könnte in Gefahr sein!“18
Im März 2018 traf sich eine Koalition aus muslimischen, jüdischen und christlichen Führern mit Regierungsvertretern, um gegen das Antragsverfahren auf finanzielle Unterstützung durch das Programm „Canada Summer Jobs“ zu protestieren. Zu den Auflagen des Verfahrens gehört, dass „sowohl der geförderte Arbeitsplatz als auch die Philosophie der betreffenden Organisation die individuellen Menschenrechte in Kanada respektieren, einschliesslich der Werte, die der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten zugrunde liegen […] was auch die reproduktiven Rechte (also etwa das Recht auf Abtreibung) einschliesst“.19 In einem Brief vom Januar 2018 schrieben die geistlichen Führer: „Das Versprechen einer freien und demokratischen Gesellschaft beinhaltet auch, dass der Bezug von staatlichen Leistungen sowie der Schutz durch den Staat nicht an religiöse oder ideologische Bedingungen geknüpft sind.“20 Eine Verfassungsklage vor dem Obersten Gerichtshof von Kanada ist für Juni 2018 geplant.21
Unter den 2016 (zum Zeitpunkt der Niederschrift aktuellsten) polizeilich erfassten Hassverbrechen waren 221 antisemitisch motivierte Verbrechen. Zivilgesellschaftliche Organisationen meldeten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) 171 antisemitische Vorfälle (davon 160 Angriffe auf Eigentum, ein Fall von Nötigung und zehn gewaltsame Übergriffe auf Menschen).22
Der Menschenrechtsliga des kanadischen Ablegers von B‘nai B‘rith wurden im Jahr 2016 1.728 antisemitische Vorfälle gemeldet, was einen Anstieg von 26 % gegenüber dem Vorjahr und die höchste Anzahl von Vorfällen seit Beginn der Aufzeichnungen durch B‘nai B‘rith bedeutet.23
Allein in Ontario ereignete sich 2016 eine Vielzahl von Vorfällen: So wurde im Juni ein Mann verhaftet, der die jüdische Gemeinde bedroht hatte. Im Juli wurde eine Plakatwand und im November die Haustür eines Rabbis mit Hakenkreuzen beschmiert.24
In Ottawa wurden im November 2016 innerhalb einer Woche eine jüdische Schule, eine Synagoge und das Haus eines Rabbis ebenfalls mit antisemitischen Schmierereien verunstaltet. Daneben wurden auch eine Moschee und eine Kirche mit Graffiti beschmiert.25
Auf einer Autobahnüberführung in Toronto wurden ebenfalls mehrere antisemitische Graffiti, darunter der Satz „Hitler was right“ (Hitler hatte Recht), aufgesprüht. Diese waren im Sommer und Frühherbst 2017 gemeldet worden.26
Synagogen in Toronto, Edmonton, Montreal, Hamilton und Calgary erhielten im Dezember 2017 Hassbriefe. Zur Ermittlung der Vorkommnisse arbeiten die polizeilichen Abteilungen für Hassverbrechen in diesen Städten zusammen.27
Im März 2018 entschuldigte sich ein Tankstellenbetreiber aus Montreal bei einer jüdischen Kundin, nachdem ein Mitarbeiter sie antisemitisch beleidigt hatte. Der Mitarbeiter wurde entlassen.28
Zu den polizeilich erfassten Hassverbrechen 2016 zählten auch 139 antimuslimische Verbrechen. Der National Council of Canadian Muslims (Nationalrat der kanadischen Muslime, NCCM) meldete der OSZE 43 Vorfälle mit islamfeindlichem Hintergrund, darunter folgende:29
Im Juni 2016 wurde vor einer Moschee in Quebec City ein Schweinekopf abgelegt. Ebenfalls im Juni wurde eine muslimische Frau beim Einkaufen in Ontario beschimpft und angespuckt, ausserdem wurde ihr das Kopftuch vom Kopf gerissen. Im Juli wurden Kinder während des Unterrichts in einer Moschee in Ontario durch das Fenster mit einem Luftgewehr beschossen. Im September kam es zu versuchter Brandstiftung in einer Moschee in Vancouver, während im Oktober die Glastür eines islamischen Zentrums in Südcalgary eingeschlagen und ein verbrannter Koran sowie ein Hassbrief am Tatort hinterlassen wurden. Der Leiter einer muslimischen Organisation aus Quebec erhielt im November Morddrohungen.30
Am 29. Januar 2017 eröffnete der 27-jährige Universitätsstudent Alexandre Bissonnette31 während des Abendgebets im Quebec Islamic Cultural Centre (Muslimisches Kulturzentrum von Quebec) das Feuer. Bei dem Anschlag wurden sechs Männer getötet und fünf weitere schwer verletzt. Bissonnette bekannte sich am 28. März 2018 in sechs Fällen des Mordes und sechs Fällen des versuchten Mordes schuldig.32
Im März 2017 wurde ein Mann verhaftet, nachdem Medien in Montreal einen Brief mit einer Bombendrohung gegen muslimische Studenten der Concordia Universität erhalten hatten.33
Im oben genannten muslimischen Kulturzentrum von Quebec, in dem im Januar 2017 sechs Menschen erschossen worden waren, ging im Juli 2017 ein Paket ein, das neben einem verschandelten Koran die Aufforderung enthielt, die muslimische Gemeinschaft solle ihre Toten auf einer Schweinefarm beerdigen.34 Im August steckten Unbekannte das Auto des Vorsitzenden des Zentrums in Brand und beschmierten die Türen des Zentrums mit Exkrementen.
Im Dezember 2017 wurde ein Kolumbianer von einem Mann, der ihn offenbar für einen Muslim hielt, mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen und mit den Worten „ISIS“ (Islamischer Staat oder Daesh) und „Terrorist“ beschimpft.35
Im Februar 2018 wurde das Schild eines im Bau befindlichen islamischen Zentrums mit abfälligen ISIS-Graffitis verunstaltet.36
27 der im Jahr 2016 (zum Zeitpunkt der Niederschrift aktuellsten) polizeilich erfassten Hassverbrechen waren von Hass auf Christen motiviert:37
Am Ostermorgen 2017 warf ein Mann eine „kleine Brandbombe“ durch das Fenster einer Kirche in Toronto; er wurde wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung angeklagt.38
Zwei Kirchen in Ontario wurden im August 2017 mit Graffiti beschmiert – eine mit einer rassistischen Botschaft und die andere mit den Worten „Islamischer Staat“.39
Im November 2017 wurde eine Kirche in British Columbia mit den Worten „Kill All Christians“ (Tötet alle Christen) verunstaltet – weniger als eine Woche, nachdem in einer texanischen Baptistengemeinde 26 Menschen getötet worden waren. Es war der zweite Vorfall von Vandalismus innerhalb einer Woche.40 Ebenfalls im November 2017 wurde eine Kirche, in der es bereits im August zu Vandalismus gekommen war, mit Kunstblut beschmiert.41
In New Brunswick brachen Unbekannte in eine kleine Kirche ein. Sie schlugen Fenster ein, beschädigten Möbelstücke und das Klavier und trampelten auf Hostien herum.42
Zwei katholische Kirchen in Halifax wurden zu Ostern 2018 mit vulgären antichristlichen Botschaften beschmiert.43
Im Berichtszeitraum ergingen staatlicherseits neue oder verstärkte Einschränkungen der Religionsfreiheit. Diese könnten in den nächsten zwei Jahren negative Auswirkungen auf Mehr- und Minderheitenreligionen mit sich bringen. Auch ist eine zunehmende gesellschaftliche Intoleranz gegenüber Minderheitenreligionen zu beobachten – als Reaktion auf globalen Terrorismus oder geopolitische Konflikte, die mit bestimmten Glaubensgemeinschaften in Verbindung gebracht werden, sowie aufgrund wachsender Ressentiments gegenüber Einwanderern.