Erscheinungsjahr: 2018
Fläche: 2724902 km2 | Bevölkerung: 17855000 |
Religion | Prozent |
---|---|
Christen | 26.10 % |
Muslime | 69.50 % |
Agnostiker | 3.40 % |
Andere | 1.00 % |
«Religionsgemeinschaften, insbesondere die nicht-traditionellen Gemeinschaften, werden schikaniert, einerseits durch restriktivere Gesetze, andererseits aber auch durch eine wachsende Zahl von verwaltungs- oder strafrechtlichen Verfahren gegen die Gemeinschaften vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Terrorismus.»
Religiöse Aktivitäten im Land werden hauptsächlich durch das 2011 in Kraft getretene Religionsgesetz geregelt; das Gesetz verbietet jede nicht-registrierte religiöse Aktivität. Im September 2016 wurde ein neues Ministerium für Religion und Zivilgesellschaft geschaffen, das für die Formulierung und Umsetzung einer staatlichen Politik zur Religionsfreiheit und Bekämpfung des Extremismus zuständig ist.1 Nach zwei mutmasslichen Extremisten-Angriffen Mitte 2016 in den Städten Aqtobe und Almaty erhielt die Ausarbeitung und Verfassung von Anti-Terror-Gesetzen eine neue Dringlichkeit für die Regierung.
Die UN-Menschenrechtskommission und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) äusserten bereits 2016 ihrer Besorgnis darüber Ausdruck, dass eine zu weit gefasste Definition von Extremismus in Kasachstan dazu führen könnte, dass diese Gesetzgebung die Religionsfreiheit "übermässig einschränke". Die US Commission on International Religious Freedom (US-Kommission für internationale Religionsfreiheit, USCIRF) forderte Kasachstan auf, „sicherzustellen, dass das Anti-Extremismus-Gesetz nicht als Vorwand für die Beschneidung des Rechts auf friedliche Ausübung und freien Ausdruck der Religion missbraucht werde.“2 Trotz dieses Appells scheinen die Gesetzesänderungen der letzten zwei Jahre zu einer zunehmenden Einschränkung der Religionsfreiheit zu führen.
Einige der Anti-Terror-Gesetzesänderungen vom Dezember 20163 haben die Beschränkungen für Auslandsreisen aus religiösen Gründen und die Zensur verschärft, doch die Änderung, die am meisten Besorgnis hervorruft, ist ein Gesetzesentwurf, der das Religionsgesetz von 2011 und einige andere Regelungen betrifft und dem Parlament am 29. Januar 2018 offiziell vorgelegt wurde.4 Dieser Gesetzesvorschlag beinhaltet zusätzlich zu einem neuen Prozess der erneuten Registrierung für fast alle Religionsgemeinschaften5 strengere Regeln und Strafen für den Religionsunterricht und legt genau fest, wer ihn wo erteilen darf. Der Entwurf sieht ausserdem neue Strafen für diejenigen vor, die den inneren Frieden einer Religionsgemeinschaft stören und schränkt Bekehrungsbemühungen weiter ein, verbunden mit einem spezifischen Verbot der Erwähnung nicht-registrierter religiöser Organisationen. Darüber hinaus sieht er die Konfiszierung aller religiösen Materialien vor, die nicht den staatlichen Vorschriften entsprechen. Einer der Auslöser für die Besorgnis ist die neue Definition von Mitgliedern des „Klerus“ als ein Personen, die von einer registrierten religiösen Organisation formell ernannt wurden, „geistliche Dienste zu leisten und zu predigen“.6 Durch diese Definition wird die Zahl der Menschen eingeschränkt, die über ihren Glauben sprechen dürfen und deshalb den Kriegsdienst verweigern können.
Eine weitere wichtige Änderung würde Minderjährige unter 16 Jahren betreffen. In ihrem Falle reicht die elterliche Zustimmung nicht mehr aus, um am Gottesdienst teilzunehmen. Stattdessen muss mindestens ein Elternteil körperlich anwesend sein. Ausserdem verbietet das neue Gesetz auch „Symbole für die Zugehörigkeit zu destruktiven religiösen Bewegungen, einschliesslich äusserlicher Attribute und Kleidungsstücke“,7 wie zum Beispiel eine bestimmte Art langer Bärte oder jede Art von Kleidung, die das Gesicht verhüllt. Schon im Januar 2016 hatte Kasachstan das Tragen des Hidschab an Schulen verboten8, der Kritik einiger Eltern zum Trotz, die ihre Töchter daraufhin nicht mehr in die Schule schickten.
Der neue Gesetzesentwurf verleiht ausserdem Polizei und Bezirksvertretern mehr Befugnisse hinsichtlich der Überwachung der religiösen Aktivitäten einzelner Bürger und Gruppen.
Mit wenigen Ausnahmen dürfen ausschliesslich Abgänger von Religionsschulen in Kasachstan in ausländischen Religionsschulen studieren.
Der Staat gewährt Zuschüsse für Organisationen, die Massnahmen gegen religiösen Extremismus und Terrorismus vorschlagen, einschliesslich von Zentren, die „Hilfe für Menschen anbieten, die unter den Einfluss destruktiver und extremistischer religiöser Bewegungen geraten sind“.9
Schliesslich umfasst das Gesetz noch eine Massnahme zur Wahrung des säkularen Charakters des Staates: Staatliche Amtsträger dürfen keine religiösen Vereinigungen gründen.
Trotz der Anzeichen für einen interreligiösen Dialog und Schritten zu grösserer religiöser Vielfalt haben Fälle von Verfolgung im Berichtszeitraum zugenommen, insbesondere gegenüber Minderheiten und nicht-traditionellen Gruppen.
Die Katholische Kirche und ihre 90 Gemeinden im Land10 sind dank eines besonderen Abkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Kasachstan von keinen besonderen Einschränkungen betroffen.
Zum ersten Mal wurde jedoch ein orthodoxer Priester, Vladimir Vorontsov, im Berichtszeitraum angeklagt, weil er sich mit seiner Gemeinde in einem Erholungslager in den Bergen zum Gebet versammelt hatte, also ausserhalb eines anerkannten Gotteshauses. Am Ende des Verfahrens wurde Pater Vorontsov allerdings freigesprochen.11
Im Jahr 2017 fanden mindestens 279 Verwaltungsverfahren gegen Einzelpersonen, Religionsgemeinschaften und gemeinnützige Organisationen statt, die von ihrem Recht auf freie Religionsausübung Gebrauch gemacht hatten.12 Davon führten 258 zu Strafen, kurzzeitiger Inhaftierung, vorläufigen oder dauerhaften Verboten von religiösen Aktivitäten, Abschiebungen oder der Beschlagnahmung oder Zerstörung religiöser Literatur. Die Opfer waren hauptsächlich Muslime, Protestanten oder Zeugen Jehovas. Geldbussen lagen dabei im Durchschnitt zwischen drei und sechs durchschnittlichen Monatsgehältern (im Jahr 2017 zwischen 79.415 und 680.700 kasachischen Tenge, umgerechnet zwischen 259 und 2.122 CHF).
Etwa ein Drittel der Strafen wurde aufgrund von Verletzungen der Absätze 9 und 10 des Artikels 489 des Verwaltungsgesetzbuches verhängt. Ersterer betrifft die Anführer einer Religionsgemeinschaft; der zweite Absatz stellt die Teilnahme an Aktivitäten nicht-registrierter Religionsgemeinschaften unter Strafe. Absatz 1 des Artikels 490 stellt weiterhin den Verstoss gegen etablierte Verfahrensweisen bei der Durchführung von Riten, Zeremonien und religiösen Versammlungen unter Strafe. Darüber hinaus wurden etwa ein Viertel der Sanktionen nach Razzien bei Gottesdiensten ohne entsprechende gerichtliche Anordnung unmittelbar durch die Polizei verhängt, was seit einer Überarbeitung des Verwaltungsgesetzes im Jahr 2015 erlaubt ist.13
Einige der von diesen Massnahmen betroffenen Personen waren ältere Rentner. Der wohl eklatanteste Fall ist der von Yegor Prokopenko, einem 89-jährigen Baptisten, der am 22. Mai 2016 aufgefordert wurde, eine Geldstrafe in Höhe von drei durchschnittlichen Monatsgehältern eines Arbeiters zu zahlen,14 weil sich Menschen in seiner Wohnung zum Gebet versammelt hatten.
Vier Ausländer sollten abgeschoben werden, zwei davon konnten jedoch die gerichtliche Entscheidung in einem Berufungsverfahren rückgängig machen. Einer der beiden war der indische Geschäftsmann Daniel Gunaseelan, den man fälschlicherweise für einen Pastor der Source of Life Church (Kirche der Lebensquelle) von Almaty gehalten hatte, obwohl er nur Mitglied der Kirche und als solches berechtigt war, den Gottesdienst zu besuchen.15
Gerichte haben mitunter auch Religionsgemeinschaften für das Abhalten nicht autorisierter Zusammenkünfte bestraft, indem sie jede religiöse Aktivität für einen bestimmten Zeitraum untersagt haben. In vier Fällen wurde ein solches Verbot gegen eine ganze Religionsgemeinschaft ausgesprochen, die dann jeweils drei Monate keinerlei Aktivitäten durchführen durfte. In zwei Fällen wurden die Verbote aufgrund der Durchführung religiöser Handlungen an nicht registrierten Orten verhängt. So erging es zum Beispiel im August 2017 der New Life Protestant Church (Protestantische Kirche des Neuen Lebens) in Oskemen, nachdem ihre Mitglieder bei einem Sommercamp religiöse Lieder gesungen hatten. Für den Richter war das Singen mit einem Gottesdienst vergleichbar. In Almaty verbot ein Gericht den Zeugen Jehovas drei Monate lang die Nutzung ihres Gemeindezentrums, weil die 25 Überwachungskameras, die die Gemeinde angebracht hatte, um gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen, drei kleine Bereiche nicht abdeckten.16
Weitere 100 Bussgelder zwischen umgerechnet 259 und 2.122 CHF wurden für die Verteilung oder den Verkauf religiöser Materialien verhängt. In manchen Fällen ordnete das Gericht darüber hinaus die Zerstörung des beschlagnahmten Materials an.17
Gegen 30 Personen wurden Bussgelder verhängt, weil sie ihren Glauben mit anderen geteilt hatten.
Mindestens sieben Verwaltungsverfahren wurden im Jahr 2017 eingeleitet, von denen fünf zu Bussgeldern gegen geistliche Führer führten, die den Kindern oder Enkelkindern von Mitgliedern ihrer Gemeinden gestattet hatten, bei religiösen Ritualen anwesend zu sein oder daran teilzunehmen, ohne erst zu prüfen, ob ein anderer Elternteil Einwände dagegen gehabt hätte.18
Im Mai 2017 wurde in Astana ein Zeuge Jehovas namens Teymur Akhmedov zu fünf Jahren Haft nach Artikel 174 (Teil 2) des Strafgesetzbuches verurteilt, der die Aufstachelung zum interreligiösen Hass unter Strafe stellt. Er hatte mit anderen über seinen Glauben gesprochen. Im Jahr 2016 hatte Akhmedow zugestimmt, sich mit Studenten zu treffen, die Interesse an den Lehren seines Glaubens bekundet hatten, sich aber später als Informanten der Geheimpolizei herausstellten. Akhmedov, der an Krebs leidet, wurde nach Ableistung seiner Haftstrafe für weitere drei Jahre die Ausübung jeder religiösen Aktivität untersagt.19 Asaf Guliyev, ein weiterer Zeuge Jehovas, der bei den Treffen dabei war, wurde zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt.20
Am 31. Oktober 2017 verurteilte ein Gericht in Akmola den Baptisten Yuri Bekker zu einer einjährigen Bewährungsstrafe, weil er sich geweigert hatte, die ihm aufgrund der Teilnahme an nicht registrierten religiösen Aktivitäten auferlegten Bussgelder zuzüglich der Kosten für die Analyse der in seinem Besitz befindlichen religiösen Texte durch Experten zu zahlen. Die Nichtzahlung der Bussgelder und Kosten hätte dazu geführt, dass sein Haus beschlagnahmt würde.21
Aber auch Muslime sehen sich erheblichen Hindernissen bei der freien Ausübung ihrer Religion gegenüber. Die einzige zugelassene Schule des Islam ist die hanafitische Schule des sunnitischen Islam. Sie wird von der Spiritual Association of Muslims of Kazakhstan (Geistlicher Verband der Muslime in Kasachstan, SAMK) anerkannt, dem Organ, das für die Aktivitäten von über 2.500 registrierten muslimischen Gemeinschaften zuständig ist. Der Verband ist für den Bau neuer Moscheen und die Ernennung und Bestätigung von Imamen zuständig. Im November 2016 verabschiedete der SAMK eine neue Regelung für die interne Organisation von Moscheen, durch die unter anderem das Wort „Amen“ in Moscheen verboten wird. Gegen 21 Muslime wurden daraufhin Bussgelder wegen des Verstosses gegen die neue Regelung verhängt.22
Die Terrorgefahr und Artikel 174 des Strafgesetzbuches wurden oft benutzt, um die Zwangsschliessung unabhängiger Moscheen und Repressalien gegen politische Gegner oder gegen einfache Muslime zu rechtfertigen, die anderen Schulen des Islam oder muslimischen Traditionen angehören.
Eine grosse Zahl von Menschen wurde wegen Terrorismus oder Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat verurteilt und mit Haftstrafen von bis zu 12 Jahren belegt.23 Viele Salafisten, denen man die Schuld für gewalttätige Angriffe im Jahr 2016 gibt, wurden aufgrund von Extremismus- oder Terrorismus-Anklagen verhaftet.24
Unter den nicht-traditionellen muslimischen Bewegungen ist Tabligh Jamaat – eine ursprünglich aus Indien stammende missionarische Bewegung, die im Februar 2013 als „extremistisch“ eingestuft und verboten wurde – am stärksten betroffen.25 Seit Dezember 2014 sind 60 Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft verurteilt worden; davon 18 im Jahr 2017.26 Sie wurden mit Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis belegt, oft verbunden mit dem Verbot der Ausübung religiöser Aktivitäten für einen bestimmten Zeitraum nach ihrer Haftentlassung.27
Fünf sunnitische Muslime, die sich zum Arbeiten (in einem Fall) oder Studieren (in vier Fällen) in Saudi-Arabien aufgehalten hatten, wurden 2017 wegen „Anstiftung zum religiösen Hass" zu Haftstrafen von vier bis acht Jahren verurteilt.28 Das mutmassliche Verbrechen, das sie begangen hatten, bestand darin, dass sie sich mit anderen Mitgliedern ihrer Religionsgemeinschaft über die Lehren des Koran ausgetauscht oder den SAMK kritisiert hatten.29
Der Kampf gegen Terrorismus findet auch aussergerichtlich statt. Massnahmen reichen von Präventivmassnahmen in Bildungseinrichtungen über Aufklärungsarbeit via die E-Islam-Website und die Arbeit des Rehabilitationszentrums Akniet für radikale Häftlinge30 bis hin zur Sperrung von Websites, die unter dem Verdacht stehen, radikale und terroristische Propaganda zu betreiben,31 sowie der Entsendung von Theologen in Gefängnisse, um die Verbreitung radikalen Gedankenguts unter den Häftlingen einzudämmen.32 Der Minister für Religion und Zivilgesellschaft, Nurlan Yermekbayev, hat ausserdem seine Bereitschaft erklärt, ein Bildungsinstitut für gemässigte Islamstudien in Kasachstan ins Leben zu rufen,33 um den religiösen Analphabetismus zu bekämpfen und Gläubige weniger anfällig für ausländische religiöse Ideologien zu machen.
Kasachstan, das seit 1991 vom Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew regiert wird, versucht sich der Welt als bedeutender internationaler Akteur zu präsentieren. 2017 wurde Kasachstan ein nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates. Die Hauptstadt des Landes, Astana, war Gastgeber von Treffen im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen in der Syrienkrise und hat sich auch schon als Ort für die Herbeiführung von Lösungen für andere Konflikte angeboten. Seit 2003 organisiert Kasachstan den Congress of Leaders of World and Traditional Religions (Kongress der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen), ein inter-religiöses Forum, das alle drei Jahre abgehalten wird. 34
Im Gegensatz dazu bedeutet die Politik Nazarbayevs unter der Überschrift „Erst die Wirtschaft, dann die Politik“ für das Land, dass keine freien Wahlen stattfinden, politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen Aktivisten aus der Zivilgesellschaft geführt werden und kaum Redefreiheit besteht.
Religionsgemeinschaften, insbesondere die nicht-traditionellen Gemeinschaften, werden schikaniert, einerseits durch restriktivere Gesetze, andererseits aber auch durch eine wachsende Zahl von verwaltungs- oder strafrechtlichen Verfahren gegen die Gemeinschaften vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Terrorismus, bei dem sie immer wieder unschuldig zwischen die Fronten geraten. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass in Zukunft mit einer kontinuierlichen Einschränkung der Religionsfreiheit zu rechnen ist.