Erscheinungsjahr: 2018
Fläche: 1676198 km2 | Bevölkerung: 6330000 |
Religion | Prozent |
---|---|
Muslime | 98.70 % |
Andere | 1.30 % |
«Die durch die Übergangsverfassung theoretisch zugesicherte Religionsfreiheit ist in der Realität nicht gegeben, und die Lage hat sich im Berichtszeitraum verschlechtert. Besonders besorgniserregend ist das faktische Missionierungsverbot und die bei Nichtbeachtung drohenden schweren Strafen. Die Ermordungen von Angehörigen religiöser Minderheiten, vor allem von Christen, haben deutlich zugenommen.»
Seit dem Sturz des Regimes von Muhammar Ghaddafi im Jahr 2011 herrschen in Libyen chaotische Verhältnisse. Nach den Wahlen im Juni 2014 brach zwischen der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Abdullah Al-Thenni mit Sitz in der östlich gelegenen Stadt Tobruk und dem in Tripolis ansässigen Allgemeinen Nationalkongress ein gewaltsamer Konflikt aus. Nach Friedensgesprächen unter Vermittlung der Vereinten Nationen unterzeichneten die rivalisierenden Lager im Dezember 2015 einen Vertrag mit dem Ziel, eine Einheitsregierung zu bilden. Gemäss dem Vertrag wurden ein neunköpfiger Präsidentschaftsrat unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Fajis Al-Sarradsch und eine „Regierung der Nationalen Einheit“ gebildet, deren Aufgabe es sein soll, die staatlichen Institutionen zu reformieren und binnen zwei Jahren Wahlen abzuhalten. Die international anerkannte Regierung der Nationalen Einheit wurde im Januar 2016 von der Verwaltung in Tripolis anerkannt. Das in Tobruk ansässige Regierungslager lehnt eine Anerkennung jedoch ab. Gewalttätige Extremistengruppen und Terrorgruppen wie der Islamische Staat (IS) nutzten das Machtvakuum und die Handlungsunfähigkeit des Staates, um im Land an Einfluss zu gewinnen. Teile des Landes sind bis heute nicht unter der Kontrolle des Staats.
Kürzlich brachte die französische Regierung einen Plan zur Beendigung der politischen Pattsituation ein, nach dem am 10. Dezember 2018 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen.1 Die vier Schlüsselpersonen Fayez al-Sarraj (Premierminister der von der UN anerkannten libyschen Regierung in Tripolis), Khalifa Haftar (militärischer Führer im Osten des Landes) Aguila Saleh (der Präsident des Abgeordnetenhauses) und Khaled al-Mishri (Vorsitzender des Staatsrats) billigten den französischen Plan im Mai 2018, unterzeichneten das Abkommen jedoch nicht.2 Sie kamen ausserdem überein, dass die verfassungsrechtliche Grundlage für Wahlen sowie die Wahlgesetze bis zum 6. September 2018 verabschiedet sein sollten.
Seit 2011 wird Libyen vorläufig nach den Grundsätzen der Übergangsverfassung regiert, die am 3. August 2011 vom Nationalen Übergangsrat verkündet wurde. Diese schreibt in Artikel 1 fest, dass der Islam Staatsreligion ist und die Scharia Hauptquelle der Gesetzgebung. Gleichzeitig sichert die Verfassung Nichtmuslimen das Recht zur freien Ausübung ihres Glaubens zu. In Artikel 6 heisst es, dass alle Libyer vor dem Gesetz gleich seien. Die Übergangsverfassung untersagt jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Glaubensgemeinschaft. Die Religionsfreiheit ist damit erstmals seit 1969 in Libyen in der Verfassung verankert.
Die anhaltenden Kämpfe zwischen den rivalisierenden Lagern verhindern eine effektive Durchsetzung des Rechts. Wie im Menschenrechtsbericht 2015 des US-Aussenministeriums festgestellt wurde, kam es im Berichtszeitraum zu Diskriminierungsfällen jeglicher Art, die weder verfolgt noch bestraft wurden.3 Des Weiteren konnten Extremistengruppen ungehindert religiöse Minderheiten angreifen und ihnen ihre eigenen religiösen Regeln auferlegen.4 Gleichzeitig sind vorrevolutionäre Gesetze, die die Religionsfreiheit einschränken, immer noch in Kraft. Die Beleidigung des Islams oder des Propheten Mohammed sowie die „Anstiftung zur Spaltung“ kann immer noch mit dem Tode bestraft werden.
Menschenrechtsorganisationen und verschiedene Medien berichten von Kriegsverbrechen, Folter sowie von Gewalt gegen Migranten und Flüchtlinge, die sich in Libyen aufhalten, darunter Entführungen, sexuelle Gewalt und Misshandlungen.5
Islamischer Religionsunterricht ist an staatlichen wie an privaten Schulen Pflicht. Religionsunterricht anderer Glaubensrichtungen wird nicht angeboten. In Libyen gibt es einige nichtislamische Gebetsstätten, darunter katholische, russisch-, griechisch- und ukrainisch-orthodoxe, evangelikale und die der Unity Church. Es sind jedoch sehr wenige Christen im Lande verblieben. Ein Grossteil der jüdischen Gemeinschaft verliess das Land zwischen 1948 und 1967. Zu den wenigen verbliebenen jüdischen Familien gibt es keine Zahlenangaben. Nichtmuslime können ihren Glauben nur eingeschränkt ausüben, und auch die Erteilung von Visa und einjährigen Aufenthaltsgenehmigungen an Geistliche aus dem Ausland ist nur begrenzt möglich.
Die Katholische Kirche ist in verschiedenen Teilen Libyens mit drei Apostolischen Administraturen und einer Apostolischen Präfektur präsent. Im Februar 2016 nahm Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch von Bischof Sylvester Carmel Magro an und ernannte Bischof George Bugeja OFM zum Apostolischen Administrator von Bengasi. Gegenüber Kirche in Not erklärte Bischof Bugeja, die Katholische Kirche habe keine Schwierigkeiten, Liturgiefeiern abzuhalten, solange diese innerhalb der Kirchengebäude und unter Ausländern stattfinden. Dagegen sei die pastorale Arbeit der Katholischen Kirche aufgrund der Sicherheitslage in Bengasi und Sabha und aufgrund der fehlenden Gelder von grossen Spendern, die das Land verlassen haben, nur sehr begrenzt möglich.
Was die Muslime betrifft, so stehen die Moscheen unter der Aufsicht des Ministeriums für religiöse Stiftungen und islamische Angelegenheiten (Ministry for Awqaf and Islamic Affairs), einer panafrikanischen, quasi-wohltätigen Organisation. Sie beaufsichtigt die Geistlichen und achtet darauf, dass die religiösen Praktiken mit den gesetzlichen Vorschriften im Einklang stehen.6 Dieselbe Stelle gibt den Imamen auch die Texte für ihre Predigten vor, die oft politische und gesellschaftliche Themen behandeln.
Beobachter sagen, der anhaltende Konflikt habe einen schädlichen Einfluss auf die Redefreiheit und die Pressefreiheit. Obwohl diese Freiheiten durch die Übergangsverfassung gewährleistet sind, werden sie von den Machthabern eingeschränkt. Infolge von Drohungen findet in allen Medienbereichen Selbstzensur statt, wie das US-Aussenministerium berichtet. Die Angriffe auf Medienvertreter in Form von Entführungen, Gewalt und Morden haben zugenommen. Die Lage der Pressefreiheit hat sich im Berichtszeitraum verschlechtert.7 In der Rangliste der Pressefreiheit fiel Libyen 2016 gegenüber dem Vorjahr um zehn Plätze zurück und steht nun auf Rang 164 von 180.8 Seitdem hat sich die Lage nur leicht verbessert, das Land liegt nun auf Platz 162.9
In einem im Oktober 2016 veröffentlichten Bericht schätzt Open Doors International, dass es in Libyen lediglich 150 Staatsbürger christlichen Glauben gebe. Aufgrund ihrer schwierigen Situation sind sie gezwungen, ihren Glauben im Untergrund auszuüben und Gottesdienste beispielsweise in Privatwohnungen abzuhalten.10
Im November 2016 wurde in der im Osten gelegenen Stadt Bengasi ein Mann verhaftet, der zum Christentum konvertiert war.11 Er war im Kontakt mit einem Konvertiten in Marokko gewesen, der ihn unterstützt hatte und wurde des „Proselytismus in sozialen Medien und Verunglimpfung des Islam“ beschuldigt.12
Im Oktober 2017 wurden in der Küstenstadt Sirte die Leichen von 21 Christen (20 ägyptische Kopten und ein Ghanaer) gefunden. Sie waren 2015 von Dschihadisten enthauptet worden, die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung standen.13 Der Assistent der libyschen Staatsanwaltschaft al-Sadiq al-Sour hatte im September 2017 bekannt gegeben, dass die Sicherheitskräfte ein IS-Mitglied verhaftet hatten, das bei den Enthauptungen als Kameramann fungiert hatte. Er teilte den libyschen Behörden Details zum Ablauf der Morde und zum Verblieb der Leichen mit.14
Im August 2017 schlug das mit dem Entwurf einer Verfassung beauftragte Gremium einen Verfassungsentwurf vor, der von der SIC (Supreme Ifta Commission) abgelehnt wurde. Die Kommission ist Teil des Ministeriums für religiöse Stiftungen und islamische Angelegenheiten (Ministry for Awqaf and Islamic Affairs) der Übergangsregierung in al-Baida. Der Verfassungsentwurf garantierte die Gedankenfreiheit, das Recht zu demonstrieren und zivilgesellschaftliche Organisationen zu gründen sowie die Gleichstellung von Mann und Frau. Dies war für die SIC inakzeptabel. Obwohl der Entwurf den Islam als Staatsreligion und die Scharia als Quelle für die Gesetzgebung definiert hätte, hatte er laut SIC versäumt, „legitime Kontrollmechanismen“ für Gedanken- und Meinungsfreiheit zu schaffen. Dies öffne Tür und Tor für Blasphemie (Beleidigung Gottes, des Propheten und seiner Gefährten) und fördere „Apostasie durch Glaubensfreiheit und Einheit der Religionen“, da sie andere Religionen als den Islam bewerbe.15
Laut eines libyschen Forschers seien christliche Männer von Zwangsarbeit und Formen der Sklaverei betroffen. Die Verfolgung christlicher Frauen und Mädchen äussere sich vor allem durch sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen. Zusätzlich zu den körperlichen Schmerzen und Verletzungen, traumatisierten diese Taten die Opfer sowie ihre Familien, Freunde und Mitchristen.16
Die durch die Übergangsverfassung theoretisch zugesicherte Religionsfreiheit ist in der Realität nicht gegeben, und die Lage hat sich im Berichtszeitraum verschlechtert. Besonders besorgniserregend ist das faktische Missionierungsverbot und die bei Nichtbeachtung drohenden schweren Strafen. Die Ermordungen von Angehörigen religiöser Minderheiten, vor allem von Christen, haben deutlich zugenommen. Organisationen islamischer Extremisten haben an Einfluss gewonnen. Infolge der politischen Rivalitäten und mangels einer einheitlichen Regierung breiten sich Extremistengruppen wie der Islamische Staat immer weiter aus und kontrollieren faktisch Teile des Landes. Die menschenverachtende Art und Weise, mit der Flüchtlinge (hauptsächlich aus der Subsahara) in Libyen behandelt werden, gibt Anlass zu grosser Sorge.